Antrag auf Wiedergutmachung bei vergessenem Anhang P

In diesem Forum werden Fragen rund um das Regelwerk des Segelns beantwortet. Betreut wird das Forum von Ulrich Finckh, Internationaler Schiedsrichter, Mitglied im Racing Rules Committee der ISAF und Betreiber der Seite http://www.finckh.org.

Antrag auf Wiedergutmachung bei vergessenem Anhang P

Beitragvon marcel » Di 3. Mär 2020, 18:42

Hallo,
mein Verein ist Ausrichter einer bald stattfindenen Regatta. Beim Lesen der Ausschreibung bin ich darüber gestolpert, dass der Passus, dass Anhang P Anwendung findet, wohl vergessen wurde. (In der Segelanweisung wird er dann hoffentlich stehen)
Nun lässt mir folgender konstruierte Fall keine Ruhe: Es wird übersehen, dass der Passus fehlt, aufm Wasser werden aber fleißig Strafen wegen Pumpen o.ä. verteilt und teils angenommen, teils nicht. Am Abend stellt ein bestrafter Teilnehmer dann Antrag auf Wiedergutmachung. Würde diese gewährt werden und wenn ja wie könnte sie aussehen? Wie ist mit anderen Booten zu verfahren, die bestraft wurden, aber keinen Antrag auf Wiedergutmachung gestellt haben? Können Boote/ Wettfahrtleitung/ Protestkomitee aus dieser Situation heraus wegen WR42 gegen die "bestraften" Boote protestieren? Macht es einen Unterschied ob ein Boot auf dem Wasser die "ursprüngliche" Strafe angenommen hat oder nicht?
Gruß, Marcel
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Re: Antrag auf Wiedergutmachung bei vergessenem Anhang P

Beitragvon uli_finckh » Di 3. Mär 2020, 19:08

Hallo Marcel
Viele Fragen auf einmal.
Deshalb der Reihe nach:
1.Wenn es in der Ausschreibung Anh. P vergessen wurde, aber dann in der Segelanweisung genannt, dass Anh.P gilt, dann gilt er. (siehe Vorwort zu Anhang P: "..wenn Ausschreibung oder Segelanweisung..")
2.Wenn die Gültigkeit von Anhang P weder durch Ausschreibung oder Segelanweisung festgelegt wurde gilt Folgendes: Wenn ein Schiedsrichter pfeift und eine gelbe Flagge zeigt und eine Segelnummer nennt, dann gibt es dazu keinen Regelbezug und der Segler muss nichts machen. Der Schiedsrichter sollte sich allerdings beim Segler entschuldigen.
3.Wenn der Segler trotz Nichtgültigkeit von Anh.P eine "Strafdrehung" ausführt, so ist diese überflüssig und ohne Bedeutung und entlastet nicht seinen Verstoß gegen Regel 42 und es kann gegen den Segler wegen dieses Verstoßes in ordentlicher Form (Protestruf etc. siehe Regel 61.1) protestiert werden. Fehlen die notwendigen Protestvoraussetzungen (Gelbe Flagge und Pfiff ersetzt nicht die verlangte Information von Regel 61.1(b)), so ist der Protest ungültig.
4. Wurden die Protestvoraussetzungen erfüllt und das Boot hat Regel 42 vereltzt aber "Strafdrehung" gemacht, ist diese irrelevant und das Boot ist zu disqualifizieren (siehe Regel 64.1, da die "Strafdrehung" für Regel 42 nicht durch die SA oder Ausschreibung vergesehen war)
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Re: Antrag auf Wiedergutmachung bei vergessenem Anhang P

Beitragvon marcel » Di 3. Mär 2020, 20:07

Vielen Dank für Deine Antwort! Ich bin mir nicht ganz sicher ob ich Regel 60.3(a) bzw. 60.2(a) richtig verstehe: Das Protestkomitee oder die Wettfahrtleitung wird erst durch das Einreichen des Wiedergutmachungsantrags auf die Nicht-Gültigkeit von Anhang P aufmerksam und die Protestfrist ist noch nicht verstrichen. Könnte dann gegen den Antragsteller protestiert werden? Könnte gegen andere Boote protestiert werden?
Wenn man den Fall, dass die Nicht-Gültigkeit von Anhang P erst spät auffliegt, mal weiter konstruiert: Wie sieht das mit P2.2, P2.3 und P5 aus?
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Re: Antrag auf Wiedergutmachung bei vergessenem Anhang P

Beitragvon uli_finckh » Mi 4. Mär 2020, 00:16

Man kann immer viel konstruieren, aber Regel 60.3(a) (bzw.60.2(a)) erlauben es dem PK (bzw dem WK) nicht, wegen Informationen aus einem ungültigen Protest selbst zu protestieren.
Im übrigen wird der Protest ja erst in der Anhörung für ungültig erklärt und dann ist die Protestfrist, an die das PK (bzw. das WK) in einem Vorfall der sich im Wettfahrtgebiet abgespielt hat, gebunden ist, abgelaufen.
Wenn man schon vergißt Anhang P ordnungsgemäß geltend zu machen und den Anhang dann trotzdem "anwendet" und diese Fehlerkette bemerkt und dann als PK über Winkelwege versucht, die Segler zu bestrafen, dann ist das schlechter Stil.
Wenn Anhang P nicht in Kraft gesetzt ist, dann gelten sämtliche Teile von Anhang P nicht, auch nicht P2.2, P2.3 und P5.
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Re: Antrag auf Wiedergutmachung bei vergessenem Anhang P

Beitragvon Helmut » Mi 4. Mär 2020, 01:22

Andere Fragen: Woraus ergibt sich, wie vom Fragesteller vorausgesetzt, dass die Gültigkeit von Anhang P in der Ausschreibung genannt sein sollte oder gar muss? (Im Anhang J1 habe ich außer J1.2 (12) nichts gefunden, was dies implizieren könnte. Aber J1 (12) betrifft ja nur Teil 2, hat also mit der Regel 42 aus Teil 4 nichts zu tun).
O. k., im Vorwort von Anhang P ist auch die Ausschreibung genannt. Aber da steht auch ein "oder". Das würde doch höchstens die Möglichkeit eröffen, dass alternativ, statt wie von J2.2 (28) für die Abfassung der Segelanweisungen gefordert, die Festlegung, dass Anhang P gilt auch (nur) in der Ausschreibung stehen könnte?
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Re: Antrag auf Wiedergutmachung bei vergessenem Anhang P

Beitragvon marcel » Mi 4. Mär 2020, 03:32

Schlechter Stil wäre das definitiv das eigene Vergessen rückwirkend durch einen Protest korrigieren zu wollen. Als Segler freut es mich, dass die Regel solche trotzigen Reaktionen ausschließen (hatte ich auch drauf gehofft).
Worauf ich im zweiten Teil meiner Frage eigentlich hinaus wollte: Mir erschließt sich das noch nicht ganz was sich letztendlich aus der Ungültigkeit von P für Folgen ergeben.

Z.B ausgehend von folgenden Fällen:
1.) Ein Segler sieht unter vermeintlicher Gültigkeit von P2.2 / P2.3 seine zweite oder dritte gelbe Flagge und gibt auf. Das ist dann praktisch die selbe Situation wie in deinen Erläuterungen zur Ungültigkeit von P2.1, nur dass es mit DNF statt Kringeln deutlich teurer ist? Die Strafe wurde fälschlich angenommen, Wiedergutmachung nicht möglich, für den Verstoß nicht entlastet, es könnte noch nach WR42 protestiert werden (auch wenn sich wohl niemand die Mühe machen würde)?

2.) Der Segler sieht seine zweite oder dritte Flagge, gibt nicht auf und wird DNE gewertet. Hier hätte ein Antrag auf Wiedergutmachung Aussicht auf Erfolg? Einsetzung auf Zielplatzierung? Die Situation bzgl 60.3 ändert sich weil es ein gültiger Protest/Antrag wäre? Bzw wenn der Segler sich blöd anstellt und seinen WR42 Verstoß zugibt wird er dafür disqualifiziert?

3.) P5 ist ungültig, das WK gibt Pumpen fälschlicherweise aber frei. Segler A pumpt in der Annahme, dass es freigegeben ist, Segler B ist aufgefallen, dass P5 gar nicht gilt und protestiert gegen A.
So wie ich das jetzt verstehe würde das PK nun A wegen WR42 disqualifizieren müssen. A hat keine Chance mit der unsachgemäßen Handlung des WK (das Pumpen freizugeben) zu argumentieren?

Werde mir unsere Segelanweisung auf jeden Fall nochmal ansehen, sodass es hoffentlich bei dieser Winter-Diskussion bleibt :-)

@Helmut Ich wollte nicht unterstellen, dass es in der Ausschreibung stehen muss. Beim Lesen unserer Ausschreibung bin ich lediglich darüber gestolpert, dass der Passus bei uns im Vergleich zu den vorherigen Ausschreibung
gestrichen(/ vergessen) wurde, woraufhin ich mich gefragt habe, wie es aussieht, wenn er nun in der Segelanweisung keine Erwähnung findet. In Musterausschreibung und Mustersegelanweisung des DSV wird der Passus zu P jeweils geführt,
auch wenn wohl eine Erwähnung genügen sollte.
Ohne jetzt gleich ein zweites Thema aufmachen zu wollen: Ergeben sich denn irgendwelche Vorteile/ Nachteile daraus, wenn es erst in der Segelanweisung erwähnt wird bzw. wenn es bereits in der Ausschreibung erwähnt wird? Letztendlich könnte ich P doch auch erst am Veranstaltungstag aktivieren/ deaktivieren indem ich durch Aushang am Notice Board Ausschreibung/ Segelanweisung ändere, oder werfe ich da jetzt alles durcheinander?
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Re: Antrag auf Wiedergutmachung bei vergessenem Anhang P

Beitragvon uli_finckh » Mi 4. Mär 2020, 08:55

Zu Helmut
Seit 2017 ist das Einsetzen von Anh.P auch durch Ausschreibung oder Segelanweisung möglich, vor 2017 ware es nur durch die Segelanweisung möglich.
Zu Marcel:
Zu 1) Wenn ein Boot nach einem Verstoß gegen Regel 42 aufgibt, obwohl es irrtümlich meint, dass Regel P.2.2 oder P.2.3 gilt, hat eine angemessene Strafe ausgeführt (siehe Grundprinzip) und darf nicht weiter bestraft werden.
Zu 2) Wenn das WK ein Boot, dass auf eine mehrere gelben Flaggen nicht reagiert hat, weil Anhang P nicht galt und dann durch das WK ohne Anhörung DNE gewertet wurde, hat Anspruch auf Wiedergutmachung, die wohl zur Einsetzung auf der Zielplatzierung führt. Das PK kann auch nicht auf Grund von Informationen aus einem gültigen Antrag auf Widergutmachung einen Protest einreichen! (Das Wort "ungültig" in Regel 60.3(a) bezieht sich nur auf einen Protest nicht auf einen Antrag auf Wiedergutmachung)
Zu 3) Das sehen Sie genau richtig.
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Re: Antrag auf Wiedergutmachung bei vergessenem Anhang P

Beitragvon Helmut » Sa 7. Mär 2020, 12:39

Hallo.
@ Uli. Zitat: "Seit 2017 ist das Einsetzen von Anh.P auch durch Ausschreibung oder Segelanweisung möglich, vor 2017 ware es nur durch die Segelanweisung möglich".
Woraus ergibt sich das?
Heisst das "oder", im zitierten Text, dass das Inkraftsetzen von Anhang P in der Ausschreibung das Inkraftsetzen in der Segelanweisung entbehrlich macht? Wie ist das Vorwort zu Anhang P zu verstehen? Muss die Inkraftsetzung des Anhangs P denn nicht immer in der SA erfolgen, d.h. gilt J 2.2 (28) denn nicht immer uneingeschränkt?

@ Marcel. Zitat: "In Musterausschreibung und Mustersegelanweisung des DSV wird der Passus zu P jeweils geführt"
Ja, in Punkt 1. 4. der Musterausschreibung 2018. Aber dazu gibt es in den Hinweisen auch einen Kommentar.

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Re: Antrag auf Wiedergutmachung bei vergessenem Anhang P

Beitragvon Willii » Mi 18. Mär 2020, 23:27

Lieber Helmut, ich glaube Du wartest immer noch auf Antwort bezüglich Deiner Frage, ob J 2.2(28) denn nicht immer uneingeschränkt gelte.
Ich versuche sie zu geben:
Appendix P gilt nur, wenn er durch die Ausschreibung ODER die Segelanweisung in Kraft gesetzt wird. Dies ergibt sich, wie wir wissen, aus dem Vorwort zu Appendix P.
Nun unterstellen wir, dass die Ausschreibung zu einer Regatta den Hinweis enthält, dass Appendix P gelte. Die Segelanweisung zu dieser Regatta enthält aber keinen weiteren Hinweis auf Appendix P.
Ist Appendix P in Kraft gesetzt, obwohl doch wie Du zu Recht feststellst, dass im Appendix J, J2.2(28) steht „wether Appendix P will apply;“ (Entschuldigung, aber ich verfüge über keinen deutschen Regeltext)?
Die Antwort lautet eindeutig „Ja“. Warum? Hierzu muss man das Beziehungsgeflecht von Regeln verstehen.
Zu Beginn einer Segelanweisung steht immer, dass die Regatta nach den Wettfahrtregeln 20XX bis 20YY gesegelt wird. Nun schauen wir wieder in eben diesen Regeln nach und finden zu Beginn dieser Regeln die Definitionen.
Unter der Definition Regel finden wir unter (e) „notice of race“ = Ausschreibung. Und diese Ausschreibung enthält den Hinweis, dass Appendix P gilt
Somit ist durch den Hinweis, dass die Wettfahrtregeln gelten, die Verpflichtung nach J2.2(28) erfüllt.
Herzliche Grüße
Willii Gohl
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Re: Antrag auf Wiedergutmachung bei vergessenem Anhang P

Beitragvon Helmut » Sa 21. Mär 2020, 20:49

Hallo Willi,
Deine Ausführungen beantworten meine Frage. Herzlichen Dank.
Kann man Deine Ausführungen verallgemeinern: Wenn in der Ausschreibung etwas in Kraft gesetzt wurde, dann aber in der Segelanweisung entgegen J2 nicht mehr erwähnt wurde, gilt es trotzdem? Richtig?
Ein spezielles Beispiel wäre J2.2(27). In der Ausschreibung wurde festgelegt, dass die "Zwei-Drehungs-Strafe" nach WR 44.1 durch eine "Eine-Drehung-Strafe" ersetzt wird. In der SA steht davon aber nichts mehr. Gilt diese Änderung trotzdem, obwohl WR 44.1 eine Änderung der Strafe nur der SA erlaubt.
Ein weiteres Beispiel wäre die Zeit einer letzten Startmöglichkeit, die ja sowohl in der Ausschreibung als auch in der SA angegeben sein müssen.
Klar, am besten hält man sich als Verfasser an die Vorgaben, dann kann nichts passieren.

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